Von Meisterleistungen und Fröschen: Unsere Reading List für den Frühling 2023

Der Frühling ist da und somit auch die ersten Sonnenstrahlen, welche uns nach draußen locken! Wir wissen ja nicht, wie es euch geht, aber uns gibt das einen derartigen Vitamin-D- und Serotoninkick, dass das Bedürfnis sich mit einem Buch in den Park oder auf den Balkon zu setzen wächst. 😉 Also: Zeit, aus dem Winterschlaf zu kommen, die Kuscheldecken wieder zu verstauen und etwas frische Limo zu pressen – hier sind unsere fünf Buchempfehlungen für diesen Frühling. 🌻🌼🌷

A Living Remedy: A Memoir von Nicole Chung

Gerade wenn man meinen sollte, der von Uncultured (Tara Westover) ausgelöste, autobiografische Trend verliere so langsam seinen Reiz, erzählt Nicole Chung in ihrer Memoire eine Geschichte so liebevoll und doch herzzerreißend, da greift man glatt noch einmal zu.

Chung ist das Adoptivkind zweier amerikanischer Eltern, in einer Kindheit, welche als nicht einfach zu beschreiben ist. Während ihrer Schulzeit in Oregon sieht sie sich ihrer koreanischen Herkunft wegen konfrontiert mit den Unterschieden zur amerikanischen Standardschüler:in und obendrein zu ihren Eltern. Chung beobachtet hautnah das Verschwinden der Mittelklasse und den Druck, welchen Geld erzeugt, ist dieses erstmal nicht da. Dramatisch sind besonders der Tod ihres Vaters, der mit mehr Stabilität und besserem Zugriff auf Healthcare vermeidbar gewesen wäre. Kein Jahr später erkrankt auch ihre Mutter – und die vielleicht letzten Wochen finden nicht mehr gemeinsam am Krankenbett statt, sondern remote im Zoomcall.

A Living Remedy erzählt aber nicht nur von der schwierigen Navigation durch gegebene, systemische Ungerechtigkeiten, Verlust und Krankheit – es ist vor allem ein Testament zu Chungs Eltern, Familie als Grundpfeiler und der Flüchtig- wie Wichtigkeit unserer zwischenmenschlichen Beziehungen. Kein einfaches Buch, aber es lohnt sich.

The Real Work: On The Mystery of Mastery von Adam Gopnik

Wie wird man richtig, richtig gut in etwas? Nicht auf dem Level eines Profis, sondern eine:r Fachmeister:in; der Unterschied zwischen einem guten und perfekten Omelette, sobald man ein paar Eier geknackt hat. Nur die wenigsten können tatsächlichen behaupten, ein derartiges Level an Expertise in…na ja, eigentlich irgendwas erreicht zu haben. Aber warum eigentlich? Genau diese Frage wurde zur Obsession Adam Gopniks, um zu beantworten: Was braucht es wirklich zur Meisterleistung? Eine Frage, welcher er in The Real Work auf den Grund geht.

Aber wo fängt man so eine Reise an? Sicherlich nicht im Brimborium von Selbsthilfe und halbherzigen Ratschlägen; so einfach wie „glaube an dich selbst und arbeite hart!“ kann es schließlich nicht sein, gäbe es sonst doch so viel mehr Meister:innen – oder? Darum konsultierte Gopnik verschiedene Ausnahmeexpert:innen ihres Fachs und ließ sich in diesen unterweisen. Es geht mit Handschuhen in den Boxring, mit Pinsel an die Leinwand, mit Schuhen zum Tanzen und mit Führerschein in die Fahrschule, wobei Gopnik nicht nur über die respektiven Disziplinen seiner Wahl lernte, sondern vor allem eins: Gemeinsamkeiten sind bei Qualitäten und Methoden durchaus gegeben. Vor allem läge die echte Arbeit nämlich im Detail. Viel wichtiger aber: Es stimmt doch, Meisterleistung findet man überall, wenn man weiß, wo zu suchen ist.

Gopnik stellt in seinem neuesten Fachbuch somit auch seine eigene Expertise unter Beweis und untersucht nicht nur, wie wir Höchstleistungen erreichen – es beantwortet auch, warum wir überhaupt dem Bedürfnis nachgehen, stetig besser zu werden. Es sei allerdings gesagt, für manch eine:n könnte dieses Buch etwas dröge sein. 😉

Yellowface von R.F. Kuang

Juniper Song ist Sensationsautorin. Eine asiatisch-amerikanische Bestsellerin, vertreten auf den Listen der New York Times und gesegnet mit einem schriftstellerischen Talent, welches ihresgleichen sucht. Nur entspricht nichts hiervon der Wahrheit. Ihr Name ist June Hayward, ihre Herkunft schlicht amerikanisch – und das Skript stammt von ihrer verstorbenen Freundin Athena Liu. Gehört diese Geschichte denn aber nicht dennoch veröffentlicht, egal welche Erzählerin, denn was macht schon ein Pseudonym? 🖊

Das alles ist natürlich keine echte Geschichte und entstammt lediglich dem Stift von R.F. Kuang, doch gibt es Fiktion so realitätsnahe, man muss zweimal blinzeln, um sicherzustellen, dass nichts aus dem echten Leben gerissen wurde. Genau solch eine Geschichte erzählt Yellowface, denn die Möglichkeit zum Echtgeschehen ist hierbei allzu tangibel.

Kuang eröffnet nicht nur eine Erzählung übers Plagiieren und der Konsequenz falscher Tatsachen, Yellowface rückt Themen in den Vordergrund, welche insbesondere im momentanen Diskurs furchtbar aktuell sind, sei es nun Rassismus, die Stummschaltung von PoC-Stimmen in verschiedenen Industrien, Diversität oder auch der dünne Draht zwischen kultureller Aneignung und Wertschätzung. Als Satire befasst Yellowface sich bissig doch konzise mit Themen unseres Zeitgeists.

STFU: The Power of Keeping Your Mouth Shut in an Endlessly Noisy World von Dan Lyons

Die Introvertierten und Leisen unter uns kennen die Frage sicherlich: „Warum redest du nicht etwas mehr?“, gefolgt von der unausgesprochenen Gegenfrage: „Warum redest du nicht etwas weniger? Dann könnte ich vielleicht auch was sagen!“ 🗯🗨 In der Tat hat die Wissenschaft sich bereits recht ausführlich mit stillen Menschen auseinandergesetzt, doch nie so wirklich mit den Quasselstrippen, Schnattergänsen und Plaudertaschen unserer Welt. 🗣

Dan Lyons bezeichnet sich selbst als Talkaholic und sagt ganz klar: Man kann auch zu viel reden, denn wer zu viel plappert, sagt eben auch Dinge, die man nicht sagen will; Undurchdachtes, was zu professionellen und privaten Rückschritten beiderlei führen kann. In einer Welt, in der Social Media ein Sprachrohr ist, das jede unfundierte Meinung in den Lautsprecher unseres Universums posaunen kann, findet Lyons zumindest etwas Frieden in einer Feststellung: Ich bin nicht der Einzige, der mehr sagt, als er sollte.

Dan Lyons versucht mit The Power of Keeping Your Mouth Shut ein Argument für die überlegte Stille zu machen, als Person, welche hieran konstant scheitert. Mit Blick auf Personen wie Tim Cook, Ruth Bader Ginsburg oder auch Barack Obama, liefert Lyons empirische Ratschläge zum gelegentlichen Klappe-Halten, welche helfen, aus weniger reden mehr zu gewinnen, entsprechend dem Kredo: Man muss nicht laut sein, um gehört zu werden.

Das große Buch von Frosch und Kröte von Arnold Lobel

Zu guter Letzt die persönliche Empfehlung zur Jahreszeit! 🌻 Wer nun denkt: „Ist das nicht ein Kinderbuch?“, dem sagen wir, Kinderbücher gibt es gar nicht wirklich, sondern lediglich Bücher, die für Kinder geeignet sind. 😉 Denn wie auch schon Katherine Rundell in ihrem Buch „Why You Should Read Children's Books, Even Though You Are So Old and Wise” sagte: Die besten Kinderbücher helfen uns Dinge wiederzufinden, bei welchen wir gar nicht wissen, dass wir sie verloren haben! Warum also Das große Buch von Frosch und Kröte von Arnold Lobel? 🐸

Frosch und Kröte erzählt in liebevollen Kurzgeschichten von den Abenteuern dieses recht gegensätzlichen Gespanns – und so abenteuerlich sind diese ehrlich gesagt eigentlich gar nicht. 😅 Es geht um verlorene Knöpfe, die man gemeinsam überall sucht, obwohl er einfach nur zuhause abgefallen ist. Darum, einander zu zeigen, wie tapfer man ist (nicht allzu sehr) und sich darüber freuen, wie mutig man zusammen doch war (immer noch nicht allzu sehr!), nachdem man vor etwas Schaurigem weggerannt ist, denn man hat es ja zumindest konfrontiert. Es geht um To-Do-Listen, die abgearbeitet werden und die Panik, weil etwas, das nicht auf der Liste stand, dazukommt.

Das mag alles recht kommod scheinen, bis man unweigerlich feststellt, wie man sich auch im Erwachsenenleben weiterhin in diesen doch simplen Anekdoten wiederfinden kann – und in all dem Stress und Chaos, mit welchem wir jeden Tag konfrontiert werden, lässt sich einmal aufatmen, denn vor allem geht es um eins: Um Ruhe und die Herzensmenschen oder -amphibien, mit denen man sich am liebsten umgibt. Am besten auch mal draußen. 😉

Es hat mit Sicherheit einen Grund, warum diese Anthologie aktuell ihre kleine Renaissance feiert und nach über 50 Jahren immer noch so nahbar ist – vielleicht weil das Bedürfnis mal vom Bildschirm wegzukommen, um sich mit Freund:innen, Eistee und ein paar Sandwiches auf einen Felsen, eine Wiese, ans Wasser oder sonst wo zu setzen, auch viele Jahre später immer noch da ist, egal wie alt. Aus gutem Grund ist das auch das letzte Abenteuer, welches Frosch und Kröte erleben. Wenn all das nicht Frühling ist, dann wissen wir auch nicht weiter – es hat auf jeden Fall etwas sehr Meditatives. 🌤 Ein entspanntes, kleines Frühlingsbuch und großartig, um dem winterlichen Reading Slump wieder zu entkommen – vielleicht auch  irgendwo draußen. 😉

Wir wünschen viel Spaß beim Lesen und hoffen, ihr könnt das gute Wetter genießen!

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