Der aktuelle Sommer 2024, stetig changierend zwischen beständigen Regenströmen und Tagen mit Rekordhitze, legt mal wieder nahe, was wir alle längst wissen sollten: Wir leben in einer vom Klimawandel geprägten Welt. Das ist kein Geheimnis und trotz der allgemeinen Bekanntheit zur potenziell größten Gefahr für die Menschen selbst, scheint häufig nicht nur im öffentlichen Diskurs, sondern auch privaten eine komforttaugliche Ignoranz präsentiert zu werden, welche den Ernst der Lage im dunkelsten Eckstübchen verstaut. Nick Reimer und Toralf Staud haben– ganz partout gesagt – die Faxen dicke was das angeht.
Bereits 2007 bemühte das Autorenduo sich in einem noch diplomatischeren Grundtonus ein besseres Verständnis für den Klimawandel und seine Konsequenzen zu kultivieren, doch führte der Test der Zeit zur traurigen Erkenntnis, auf mehr taube Ohren gestoßen zu sein, als ursprünglich erhofft – genug getan wird zumindest nicht, um diese Katastrophe tatsächlich abzuwenden. Gut, dann erfordert es eben mal eine direktere Sprechart: Keine Euphemismen und verständnisvollen Eingeständnisse mehr, sondern sagen, was Sache ist und wie es 2050 hierzulande aussehen wird, wenn wir nicht endlich den Kurs ändern.
Es genügt ja eigentlich ein Blick in die Nachrichten: Über Wochen anhaltende Waldbrände, verheerende Überflutungen und erdrückende Hitzewellen sind in den Medien nicht ansatzweise so selten, wie man es eigentlich gerne hätte. Eine mittlerweile weitreichende Gefahr. Der menschengemachte Klimawandel ist kein Phänomen des Auslands, welches man vielleicht mit großen Augen, jedoch auch einem unausgesprochenen Sicherheitsabstand beobachtet. Er zieht immer mehr in den Westen über, in die hiesigen Städte und Landschaften, hin zu den Gesellschaftsbereichen, die grundsätzlich einen tangiblen Einfluss auf die Klimapolitik erwirken könnten, gemäß dem Motto: „Wer nicht hören will, muss fühlen“ – und dennoch nicht die nötigen Mühen erbringen. Eigentlich etwas zynisch, aber das ist die aktuelle Klimarealität und nur eine Vorschau für eine Zukunft, die wir verhindern müssen. Reimer und Staud heben diese Wichtigkeit hervor, indem sie ein Bild zeichnen, welches einer Endzeitstimmung gleicht, jedoch stets datenbasiert bleibt.
Zu rechnen ist mit einer Zunahme von Extremwetterereignissen, obgleich diese bislang schon schwierig zu tragen sind, einer erhöhten Verbreitung von Krankheiten, unter anderem wegen Zecken und Stechmücken, die sich in diesen Klimabedingungen rapide vermehren würden, ein weiter erhöhtes Artensterben und somit ein Ungleichgewicht der Natur, dezimierte Wälder und Küstenlandschaften, der Ruin des Landwirtschaftswesens und nicht zuletzt eine weiter ansteigende politische Polarisierung, welche bereits in vollem Gange ist. Szenarien, die in 26 Jahren kulminieren und nicht von heute auf morgen eintreten. Es sind Prozesse, die wir am eigenen Leib erleben werden, wie sie sich Stück für Stück verschlechtern. Optimistisch stimmt das alles natürlich nicht, es ist lediglich brutal ehrlich vor allem angesichts der Tatsache, dass 26 Jahre nicht allzu lang ist.
Verständlicher Weise war die Diskussion in unserem Book Cirlce keine die man mit motiviertem Pathos verlässt und danach inspiriert und beflügelt weiter durch den Arbeitsalltag schreitet. Grundlegend sind wir immerhin mit den zentralen Aussagen des Buches d’accord. Unrecht geben kann man auch schlecht. In unserer Diskussion wurde immer wieder betont, dass die dargestellten Informationen aufschlussreich und wertvoll sind, nicht zuletzt, da dieses Diskussionsthema in der Öffentlichkeit zumeist eher oberflächlich angekratzt, statt mit notwendigem Tiefgang behandelt wird. Wir müssen uns als Gesellschaft intensiver mit dieser Problemstellung befassen und das erfordert auch die unangenehmen Zukunftsbilder des Klimawandels zu zeichnen. Dass viele im gesamtgesellschaftlichen Durchschnitt (noch) nicht bereit oder befähigt sind diese anzunehmen, ist ebenfalls ein häufiger Problempunkt gewesen, welchen wir im Gespräch behandelten – dabei ist die Antwort nach dem Warum wohl eine Waage aus Ignoranz und Überforderung. Im Kern bleibt es eine Last, die nur von der Gesellschaft als Ganzes getragen werden kann und sowohl Konsument:innen, als auch Politik und Wirtschaft gleichermaßen in die Verantwortung ruft. Die tiefgreifendste Veränderung wird bei uns in den Köpfen stattfinden müssen, fern ab von dem Diskurs, ob wir als Privatpersonen mit unserem Handeln denn überhaupt etwas bewirken können.
In zweierlei Punkten war Deutschland 2050 unserer Meinung nach somit ein voller Erfolg: Die Darstellung von Daten und gezogene Rückschlüsse sind durchaus geglückt und betonen die Dringlichkeit dieses Themas, welche die Autoren bedacht hervorheben wollten. Man kann Reimer und Staud wirklich nicht vorwerfen, hier keinen exzellenten Job gemacht zu haben. Die Probleme des Buches entstehen somit vielmehr auf einer externen Ebene, nämlich einer gewissen Verdrängung im Diskurs. Die dargestellten Informationen sind im Großen und Ganzen eigentlich nicht neu, die Thematik ebenfalls längst bekannt. Schwerlich lässt sich den beiden somit Redundanz unterstellen. Es ernüchtert viel eher zu wissen, dass all das einer stetigen Wiederholung bedarf. Auch der pessimistische Grundton des Buches ist kein expliziter Kritikpunkt, ist dieser schließlich durchaus intendiert, doch ein Mangel an konkreten Handlungsperspektiven frustrierte uns dann doch. Was können wir gegen all das tun? Das erfahrt ihr dann woanders! In seinem Tonus läuft Deutschland 2050 somit die Gefahr zur kompletten Resignation zu führen und zu sagen: „Joa, Mist, lässt sich ja nicht ändern. In den 26 Jahren erfülle ich mir dann nochmal den Lebenstraum vom SUV.“ Das fanden wir schade – eine zentrale Komponente des Themas wurde somit ausgelassen, um die vorgestellte Endzeitstimmung zu betonen.
Letzten Endes bietet Deutschland 2050 die nötige fachliche Unterfütterung zu den Buzzwords und Szenarien, welche zwar regelmäßig im öffentlichen Diskurs stehen, jedoch etwas zu kurz kommen. Gesagt muss natürlich sein, dass das häufig nicht aus einer allgemeinen Gleichgültigkeit rührt, sondern einem persönlichen Informationsmangel, den man zuvor nicht aufarbeitet hat. Hierfür bietet das Buch ein hervorragendes Gerüst, das gleichermaßen verdeutlicht, der Klimawandel erreicht uns nicht an irgendeinem ominösen Tag in der Zukunft. Er ist bereits angekommen, schreitet stetig fort und ist bereits spürbar. Das müssen wir abwenden.
Schlussendlich ist Deutschland 2050 kein Buch, welches man gerne liest, jedoch eines, das man gelesen haben sollte, unserer Meinung nach. Die Wichtigkeit der Thematik lässt sich weder abstreiten noch bagatellisieren und auch wenn Personen, die den Klimawandel aberkennen hiervon wohl nicht bekehrt werden, erfüllt das Buch die weiterhin wichtige Aufgabe eine Nachdrücklichkeit zu erzeugen. Das muss man willkommen heißen. We are the change, heißt es immerhin so schön, und vielleicht muss das in diesem Kontext auch nochmal betont werden.