People Pleaser gibt es überall. Im Alltag, wenn man parallel auf drei Hochzeiten tanzt, in Beziehungen, wo man sich zwischen Netflix und dem Kinoabend mit alten Freund:innen entscheiden muss, oder im Job, wenn man genug auf dem Tisch liegen hat und doch noch einen „Gefallen“ tut. Man hört es schon raus: People Pleasing ist fast unmöglich, denn entweder man schadet dem Gegenüber, da man die diversen Zusagen gar nicht halten kann, oder und vor allem sich selbst – denn man kann nicht alle glücklich machen, ohne dabei auf der Strecke zu bleiben. Die Gegenantwort lautet dann häufig: Me First! Ich, ich, ich. Teamwork sieht anders aus. Wo liegt der korrekte Mittelweg der Nettigkeiten? Wie kann sich das auf die Karriere auswirken – und warum tun so viele sich überhaupt derartig schwer damit? Wir haben mal einen Blick geworfen.
Wilder Einstieg, oder? Ergibt aber gleich Sinn. Eine schlechte Idee ist es sicherlich nicht zu schauen, bevor exzessive Nettigkeiten untersucht werden, warum wir in erster Linie nett sind oder sein sollten. Eine Frage, mit der die Philosophie schon länger hadert, einen der besseren Ansätze bietet jedoch Emmanuel Levinas in seinem Essay „Ethik als erste Philosophie“.
Levinas stellt erst einmal eine Korrelation zwischen dem Erkennen und dem Sein voraus. Ganz plump gesagt: Es gibt mich und ich sehe, da sind noch andere, die nicht ich sind. Diese Begegnung mit dem anderen resultiert laut Levinas in einem ethischen Imperativ. Im Ich-Gedanken unterstellt Levinas hierbei eine Verantwortung für die eigene Daseinsberechtigung, in Verbindung zum Dasein des anderen und dessen Vergänglichkeit; die Erkenntnis der anderen gestaltet sie zur eigenen Angelegenheit. Wissen, dass man das eigene Potenzial hegt, die andere Person zu verletzen, verantwortet ergo dazu, dies nicht zu tun. Der rücksichtsvolle Umgang müsse sich somit intuitiv aus dem eigenen Sein ergeben – ganz ohne Hoffnung eines gegenseitigen Nutzens. Levinas fordert somit eine radikale Zuwendung zum anderen.
Der ganze Essay für sich ist sehr komplex, sehr philosophisch, daher ganz plump und reduktiv zusammengefasst: Anderen keine Unannehmlichkeiten bereiten zu wollen, ist bereits eine gute Basis zur Nettigkeit und Hilfsbereitschaft. Wichtig jedoch: Levinas sieht hierin keinen Call-To-Action bezüglich Nettigkeit, sondern wirklich eine ethische Verantwortung zur Fürsorge in unserem Handeln. Schönes theoretisches Fundament, damit lässt sich doch arbeiten!
Levinas gewährt hier eine definitorisch brauchbare Perspektive, was uns dazu verleiten sollte, einander mit Nettigkeit zu begegnen. „Ethik als erste Philosophie“ ist ein eindeutiges Produkt von Levinas eigener Lebenserfahrung und ein hierzu notwendiges, doch wie so häufig verbleibt Philosophie ein spannendes Theorieobjekt, das in der praktischen Anwendung etwas schwieriger auszugestalten ist. Man hört es vielleicht bereits raus: Insbesondere in der Idee vom eigenen Dasein als Bedrohung des anderen, läuft man Gefahr, etwas über die Stränge zu schlagen. Im Zuge der Wahrnehmung eines anderen sollte sich Nettigkeit behaupten, völlig klar, aber wenn das Selbst nur dem anderen dienlich sein kann, riskiert man eine gewisse Selbstaufopferung – das scheint nicht so nobel wie vielleicht dargestellt. Wie People Pleasing selbst auch.
Erahnen lässt sich das bereits sicherlich, doch variieren die Feinheiten nichtsdestotrotz. Bei einem Punkt scheinen sich alle Quellen zumindest einig zu sein: People Pleasing erfordert ein gewisses Märtyrertum. Hayley Magee stellt im HBR Podcast eine dementsprechend kompakte Definition auf: „The act of putting others‘ needs, feelings and dreams first at the expense of your own”. Überstiegen wird hiermit eine konventionelle Nettigkeit im Zuge einer aktiven Selbstaufopferung, die dementsprechende Konsequenzen mit sich zieht: Überarbeitet sein, Konfliktvermeidung und „Overfunctioning“ – Kompensation der Underperformance anderer – seien die ersten Symptome zum People Pleasing am Arbeitsplatz.
Die Gründe, People Pleasing nicht als berufliche Prärequisite herbeizuführen, sind hiermit eigentlich mannigfaltig, doch tritt dieses Phänomen dennoch auf, wie Doing Sociology am Beispiel von Flugunternehmen illustriert.
Doing Sociology diskutiert People Pleasing anhand der Arbeit von Arlie Russel Hochschild, welche im Flugunternehmenskontext eine Kommerzialisierung menschlichen Gefühls diskutiert, sprich die Nutzung von Emotional Labour, um Kund:innen zufriedenzustellen. Das ist lediglich guter Service, könnte man nun meinen. Mag sein – und ohne diesen Punkt hierbei grundlegend anfechten zu wollen, sind im Sinne dieses Beitrags Hochschilds Betrachtungen zur Beziehung zwischen Selbstsein und Gefühl unter Emotional Labour, weitaus spannender. Es sollte sich schließlich verstehen – und jede:r, der/die bereits im Service oder Kundenarbeit tätig war, wird dieses Gefühl kennen –, dass derartige Professionen die Vortäuschung und eventuell auch das Verbergen einer anderen Emotion bedingen. Eine Haltung, welche im Gegenzug in einer emotionalen Unstimmigkeit resultieren kann und dementsprechend einer psychologischen Ermüdung, welche sich gleichermaßen im Privatleben manifestieren. Vor allem in der Kund:innenarbeit ist Emotional Labour aber natürlich eins, nämlich profitabel – und zu einem gewissen Grad wahrscheinlich auch nicht wegzudenken. „Hier, Ihr sch@#?! Risotto – sorry, hab‘ einen schlechten Tag“ möchte man im Restaurant ja auch nicht hören.
Problematisch wird es aber, wenn Arbeitsplätze People Pleasing kultivieren, wo das vielleicht kein „notwendiges Übel“ (wenn man es so nennen möchte) sein muss oder wenn wir das als Privatperson tun. Eine Beziehung, die auch Doing Sociology hierbei konstatiert: Auch People Pleasing ist natürlich Emotional Labour. In der Konsequenz bedeute dies Folgendes:
The agenda of commercialization of emotions could be linked to a stimulus for the tag “people pleaser”. “People pleasing” attitude can bear a number of signs which significantly include being unable to say no, feeling anxious about others’ opinions or judgments, difficulties in having time for oneself and setting boundaries, being agreeable, and diminished self-esteem.
Forbes diskutierte bereits in deren Beitrag zum Thema, inwieweit People Pleasing Einzelpersonen und Arbeitsplätzen beiderlei schaden kann. Forbes beschreibt die Nebeneffekte dabei wie folgt:
Allesamt Faktoren, die überaus förderlich für Burnout, Produktionsmangel und Co. sind. Wichtig zu verstehen sei laut Magee des Weiteren, dass People Pleasing am Arbeitsplatz häufig nicht nur sich selbst und einem intrinsischen Perfektionismus, sondern auch einem Gesellschaftsdruck geschuldet ist. Insbesondere Minoritäten und allgemein Personen, die weniger Podium geboten bekommen, haben nicht dieselben Optionen zur Grenzsetzung, Widerspruch und dergleichen. Arbeitgeber:innen müssen entsprechend bemüht sein, ein Umfeld zu kultivieren, in welchem alle Personen gleichberechtigt sind ihre persönlichen Limitationen zu kommunizieren.
Zum Kern des Ganzen: Ja, People Pleasing kann ein ernstzunehmendes Problem in Organisationen und Unternehmenskulturen darstellen – und dieses lohnt sich eben auch anzugehen. Hier sind die wichtigsten Tipps und Maßnahmen anhand von Hayley Magee.
People Pleasing ist eine Krux, behandelt sie doch das Problem, wo die Hilfe gegenüber anderen anfängt und man selbst aufhört. Der Grad hierbei ist schmal. Nett sein, als moralische Verantwortung – da müssen wir wohl gar nicht diskutieren, wie recht Levinas hat. Spricht man aber vom Individuum und seiner Beziehung zur Gemeinschaft, ist es nochmal wichtig, sich Folgendes bewusst zu machen: Teil hiervon ist man auch – und man verdient dieselbe Güte, welche man anderen entgegenbringen möchte, ohne gleich Märtyrer:in sein zu müssen. Bisschen auf sich selbst aufpassen, das lohnt sich ebenfalls. 😊
Zum Weiterlesen: